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Equal-Pay: EU-Richtlinie für mehr Lohntransparenz

Nachdem zu Beginn dieses Jahres schon das Bundesarbeitsgericht einen Vorstoß in Sachen Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen gewagt hat, indem es der Differenzierung allein aufgrund von „besserem Verhandeln“ den Riegel vorschob (BAG, Urteil vom 16. Februar 2023 – 8 AZR 450/21, wir berichteten BAG stärkt den Equal-Pay-Grundsatz), hat sich nun die Europäische Union auf weitergehende Regelungen zur Stärkung des Equal-Pay-Grundsatzes geeinigt.
Das EU-Parlament sowie der Rat der EU haben sich auf eine Richtlinie zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit geeinigt (Richtlinie 2023/970 vom 10. Mai 2023 – EntgTranspRL). Zentral ist auch bei dieser Richtlinie – genauso wie im Prinzip auch nach dem heute in Deutschland geltenden Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) – die Lohntransparenz. Die Richtlinie gibt allerdings nur vor, was der nationale Gesetzgeber noch umsetzen muss.

Lohntransparenz auch schon gegenüber Stellenbewerbern

Neu ist zunächst, dass auch gegenüber Stellenbewerber*innen Informationen über das Einstiegsgehalt bzw. dessen Spanne bereitgestellt werden müssen (Art. 5 EntgTranspRL). Das muss nicht zwangsläufig schon in der Stellenausschreibung geschehen, wohl aber so, dass fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt gewährleistet werden. Dies wird wohl nur der Fall sein, wenn den Stellenbewerber*innen schon vor dem Bewerbungsgespräch Informationen zukommen, weil nur dann ein Abgleich mit vergleichbaren Entgeltdaten anderer Arbeitgeber noch möglich ist.

Andererseits darf der Arbeitgeber die Bewerber*innen nicht mehr nach dem derzeitigen oder vorherigen Gehalt fragen.

Transparenz des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer zu Entgelt und Entgeltentwicklung

Den eingestellten Arbeitnehmer*innen muss der Arbeitgeber in Zukunft auch Informationen über die Kriterien für die Festlegung des Entgeltes und der Entgeltentwicklung, in leicht zugänglicher Weise zur Verfügung stellen (Art. 6 EntgTranspRL).

Auch sollen künftig Arbeitnehmer*innen nicht daran gehindert werden können, ihr Gehalt offenzulegen, um den Grundsatz des gleichen Entgelts durchzusetzen. Verschwiegenheitsklauseln in Bezug auf das Entgelt sollen nicht mehr ohne weiteres zulässig sein (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21. Oktober 2009, Az. 2 Sa 237/09).

Deutscher Gesetzgeber muss Auskunftsrechte muss erweitern

Schon nach geltendem deutschem Recht soll insbesondere ein Auskunftsrecht nach dem EntgTranspG zur Durchsetzung des Equal-Pay-Grundsatzes verhelfen. Dieses Gesetz gilt allerdings bislang eher als „zahnloser Tiger“, weil ein Auskunftsanspruch über das Gehaltsgefüge nur in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten besteht (§ 12 Abs. 1 EntgTranspG) und der Arbeitgeber aus datenschutzrechtlichen Gründen nur Auskunft erteilen muss, wenn mindestens sechs Beschäftigte des anderen Geschlechts eine vergleichbare Tätigkeit ausüben (§ 12 Abs. 3 EntgTranspG).

Diese Hürden wird der deutsche Gesetzgeber in Umsetzung der neuen EU-Richtlinie abschaffen müssen. Vergleichbare Beschränkungen sieht die Richtlinie für eine Auskunft über die durchschnittlichen Entgelthöhen von Arbeitnehmer*innen, die die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, aufgeschlüsselt nach Geschlecht, nicht mehr vor (Art. 7 EntgTranspRL).

Neues Mittel der Lohntransparenz: regelmäßige Berichterstattung

Hinzu kommt ein weiteres Mittel zur Durchsetzung der Lohntransparenz, das – anders als das Auskunftsrecht – allerdings an die Unternehmensgröße gebunden ist: Arbeitgeber mit 100 oder mehr Arbeitnehmer*innen werden zukünftig in regelmäßigen Abständen das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle in ihrem Unternehmen öffentlich bekannt machen müssen (Art. 9 EntgTranspRL).

Dabei gilt diese Pflicht allerdings nur abgestuft. Für Arbeitgeber mit 100 bis 149 Arbeitnehmer*innen greift die Pflicht erst acht Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie und dann alle drei Jahre, für Arbeitgeber mit 150 bis 249 Arbeitnehmer*innen bereits vier Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie und dann ebenfalls alle drei Jahre, während Arbeitgeber mit mehr als 250 Arbeitnehmer*innen vier Jahre nach dem Inkrafttreten der Richtlinie jährlich derartige Informationen offenlegen müssen.

Die Mitgliedstaaten können allerdings auch von Arbeitgebern mit weniger als 100 Arbeitnehmer*innen verlangen, Informationen über das Entgelt vorzulegen. Hier bleibt abzuwarten, ob der deutsche Gesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird.

Gemeinsame Entgeltbewertung mit den Arbeitnehmervertretungen

Ergibt die Berichterstattung, dass in einer Gruppe von Arbeitnehmer*innen ein geschlechtsbezogener Gehaltsunterschied von mehr als 5 % besteht und der Arbeitgeber diesen Unterschied nicht geschlechtsneutral rechtfertigen kann bzw. nicht innerhalb von sechs Monaten korrigiert, ist mit den Arbeitnehmervertretungen eine sog. „Gemeinsame Entgeltbewertung“ durchzuführen (Art. 10 EntgTranspRL). Dabei sind die Gründe für die Differenzierung zu analysieren und Maßnahmen für die Korrektur zu beschließen.

Kollektive Rechtsdurchsetzung

Neben dieser Einbindung sollen die Arbeitnehmervertretungen eine weitere – dem deutschen Recht bislang weitestgehend (mit Ausnahme von § 23 Abs. 3 BetrVG) fremde – Rolle einnehmen. So sollen nach dem Entwurf „Verbände, Organisationen, Gleichbehandlungsstellen und Arbeitnehmervertreter oder andere juristische Personen, die gemäß den im nationalen Recht festgelegten Kriterien ein berechtigtes Interesse an der Gewährleistung der Gleichstellung von Männern und Frauen haben“, mit Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer*innen im Namen dieser die Rechte aus dem Equal-Pay-Grundsatz geltend machen können (Art. 15 EntgTranspRL). Ob der deutsche Gesetzgeber diese weite Formulierung nutzt und daran festhält, dass Arbeitnehmervertretungen im Grundsatzkeine individuelle Rechtsdurchsetzung für einzelne Beschäftigte betreiben, oder den Arbeitnehmervertretungen das Recht zur Prozessstandschaft in Fällen der Gehaltsdiskriminierung auch unterhalb der Erheblichkeitsschwelle von § 23 Abs. 3 BetrVG verleiht, bleibt abzuwarten. In jedem Fall dürften den Betriebsräten künftig ein im Vergleich zu § 80 BetrVG noch weitreichenderes Informationsrecht zustehen.

Praxishinweise:

  • Die Richtlinie tritt am 6. Juni 2023 in Kraft. Sie verpflichtet zunächst nur die Mitgliedstaaten zur Umsetzung bis zum 7. Juni 2026. Bis konkrete Vorgaben für die Unternehmen gelten, wird daher noch einige Zeit ins Land gehen, zumal die regelmäßige Berichterstattung aufgrund der Übergangsfristen ohnehin nicht vor dem 7. Juni 2027 vorgesehen ist.
  • Der Equal-Pay-Grundsatz ist jedoch längst geltendes Recht (Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 EntgTranspG, § 7 Abs. 1 AGG). Arbeitgeber sind daher gut beraten, schon heute geschlechterspezifische Lohndifferenzen zu prüfen und zu korrigieren.
  • Unternehmen mit 100 oder mehr Mitarbeitern sollten sich außerdem darauf einstellen, in Zukunft regelmäßig zur Berichterstattung über die geschlechterspezifische Lohndifferenz verpflichtet zu sein.
  • Spannend dürfte sein, wie der deutsche Gesetzgeber die Beteiligung des Betriebsrates zur Durchsetzung von individuellen Ansprüchen bei Gehaltsdiskriminierung in Gerichtsverfahren umsetzen wird.
  • Das Thema Entgelttransparenz dürfte in den nächsten Jahren eines der zentralen arbeitsrechtlichen Themen werden; es stellen sich zahlreiche noch offene Rechtsfragen, die die Gerichte beschäftigen dürften.