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BAG stärkt den Equal-Pay-Grundsatz

Für ein großes Medienecho sorgte kürzlich ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (16. Februar 2023 – 8 AZR 450/21) zur Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern. Die Reaktionen gehen soweit, die Entscheidung als „Meilenstein“ (so etwa Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, Rechtsanwalt Prof. Dr. Michael Fuhlrott, https://www.welt.de/wirtschaft/article243810319/Lohngerechtigkeit-Gleiche-Bezahlung-fuer-Frauen-Dieses-Urteil-ist-ein-Meilenstein.html oder Rechtsanwalt Sören Seidel und Rechtsanwältin Kristina Walter, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bag-grundsatzurteil-8azr45021-beruf-entgeltgleicheit-mann-frau-equal-pay/) zu bezeichnen und ihr eine „riesige Praxisrelevanz“ (Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrecht, die das Verfahren begleitete, https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/bundesarbeitsgericht-gleichstellung-gender-pay-gap-gehalt-frauen-100.html) zu bescheinigen. Bislang liegen allerdings nur der Entscheidungstenor und eine Pressemitteilung vor. Auf die Urteilsgründe wird gespannt zu warten sein.

Im Fall, über den das Bundesarbeitsgericht (BAG) zu entscheiden hatte, ging es um drei Außendienstmitarbeiter*innen im Vertrieb. Die Klägerin hatte geklagt, weil sie der Ansicht war, allein aufgrund ihres Geschlechts weniger Grundgehalt als ihre männlichen Kollegen zu erhalten. Die Klägerin war seit dem 1. März 2017 bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb beschäftigt. Ihr einzelvertraglich vereinbartes Grundgehalt betrug anfangs EUR 3.500.

Neben der Klägerin waren noch Herr G. und Herr P. als Außendienstmitarbeiter eingestellt. Herr G. ist bei der Beklagten seit 1985 beschäftigt und erhält seit August 2018 ein Grundgehalt von EUR 4.500. Herr P. dagegen wurde zum 1. Januar 2017 eingestellt. Auch diesem hatte die Beklagte zunächst EUR 3.500 Grundgehalt angeboten. Dieser lehnt das allerdings ab und verlangte bis zum Einsetzen einer leistungsabhängigen Vergütung am 1. November 2017 eine Grundvergütung von EUR 4.500, worauf sich die Beklagte einließ. Dem Mitarbeiter wurde zudem in Aussicht gestellt, als Ersatz für eine ausscheidende Kollegin später als „Leiter Vertrieb Bahntechnik“ tätig werden zu können. Von November 2017 – also nach Einsetzen der leistungsabhängigen Vergütung – bis Juni 2018 erhielt Herr P. dann – wie auch die Klägerin – ein Grundgehalt von EUR 3.500. Ab dem 1. Juli 2018 vereinbarte die Beklagte mit Herrn P. eine Erhöhung des Grundgehalts auf EUR 4.000, weil er in die Rolle der ausgeschiedenen Kollegin hochgerückt war.

Verpflichtung zum Equal-Pay bislang „zahnloser Tiger“

Eine Verpflichtung zur gleichen Vergütung gleicher Arbeit, sowie das Verbot geschlechtsbezogener Diskriminierung sind längst geltendes Recht, Art. 157 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), § 3 Abs. 1 Entgelttransparentgesetz (EntgTranspG), § 7 Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

Allerdings fehlt es Beschäftigten überwiegend an der Möglichkeit diesen Grundsatz auch durchzusetzen, weil (1.) ein Auskunftsanspruch über das Gehaltsgefüge nur in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten durgesetzt werden kann (§ 12 Abs. 1 EntgTranspG), (2.) der Arbeitgeber aus datenschutzrechtlichen Gründen nur Auskunft erteilen muss, wenn mindestens sechs Beschäftigte des anderen Geschlechts eine vergleichbare Tätigkeit ausüben (§ 12 Abs. 3 EntgTranspG) und (3.) bislang – zumindest nach der Vorinstanz in diesem Fall – schon das Verhandlungsgeschick eines Kollegen anderen Geschlechts als Rechtfertigung einer unterschiedlichen Bezahlung genügte. Der Equal-Pay-Grundsatz des Entgelttransparentgesetzes war daher bislang nicht mehr als ein „zahnloser Tiger“ (DGB-Vizechefin, Elke Hannack, https://www.deutschlandfunk.de/entgelttransparenzgesetz-was-der-kollege-wirklich-verdient-100.html). Zumindest die letzte Schwäche in der Durchsetzung des Equal-Pay-Grundsatzes hat das BAG nun beseitigt.

Vermutung der Benachteiligung wegen des Geschlechts bei unterschiedlichem Entgelt

Grundsätzlich ist der Ausgangspunkt der Beschäftigten, wenn überhaupt Informationen über das Gehaltsgefüge bestehen, kein schlechter. Sofern eine unterschiedliche Bezahlung zwischen vergleichbaren Arbeitnehmer*innen unterschiedlicher Geschlechter vorliegt, wird vermutet, dass dies eine unmittelbare Benachteiligung allein aufgrund des Geschlechtes darstellt. Nach § 22 AGG muss dann der Arbeitgeber beweisen, dass die Ungleichbehandlung ausschließlich andere, sachliche Gründe hatte (BAG, Urteil vom 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19).

Keine Wiederlegung dieser Vermutung durch Berufung auf individuelle Verhandlung

Die Vorinstanz (LAG Sachsen, Urteil vom 3. September 2021 – 1 Sa 358/19) hatte hier noch die Tatsache genügen lassen, dass Herr P. sich auf das auch ihm zunächst angebotene Grundgehalt nicht einlassen wollte und ein höheres Gehalt verlangte und die Beklagte dem nachgegeben hatte, um die Stelle besetzen zu können. Damit sei die Ursache der Ungleichbehandlung nicht im Geschlecht verankert, sondern allein Resultat der Verhandlungen der beiden Beschäftigten.

Diesen Vortrag ließ das BAG nicht genügen. Die Vermutung der Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts (für den Zeitraum März bis Oktober 2017) konnte der verklagte Arbeitgeber mit dieser Begründung nicht ausräumen. Auch die Argumentation des Arbeitgebers (ab Juli 2018), dass Herr P. einer besser vergüteten ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt sei, genüge hierfür nicht. Die genauen Gründe für diese Entscheidung liegen noch nicht vor und bleiben abzuwarten.

Folgen der Entscheidung weiterestgehend unklar

Der Entscheidung kann nicht entnommen werden, dass es gar keine Gehaltsunterschiede mehr geben darf, zwischen vergleichbaren Arbeitnehmer*innen unterschiedlichen Geschlechts. Eine Differenzierung aufgrund von sachlichen Kriterien, die nicht an das Geschlecht anknüpft, ist weiterhin möglich. Wie weit die Folgen dieser Entscheidung daher tatsächlich reichen werden, steht somit noch nicht fest. Klar ist nur, dass das Verhandlungsgeschick allein bzw. das Interesse des Arbeitgebers an der Mitarbeitergewinnung eine Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen kann. Man wird in Zukunft wohl jedenfalls verlangen müssen, dass der Arbeitgeber plausibel darlegt, dass er die Stelle nicht anders hätte besetzen können, bevor er sich auf höhere Gehaltsforderungen einlässt.

Weiterhin möglich dürfte hingegen die Berücksichtigung des Dienstalters zur Begründung eines höheren Gehaltes im Einzelfall sein. So hat das BAG allem Anschein der Pressemitteilung nach keine Einwände gegen die Argumente des Landesarbeitsgericht Sachsen erhoben, wonach das höhere Grundgehalt des Herrn G. auf seiner langen Betriebszugehörigkeit, seinen besseren Umsatzzahlen und der Tatsache, dass dieser die Vertriebssparte mit aufgebaut hatte, beruht und damit die Vermutung der geschlechtsbezogenen Diskriminierung widerlegt sei. Auch hier müssen allerdings die genauen Gründe des BAG abgewartet werden.

Offen ist dagegen beispielsweise, ob Arbeitgeber in Zukunft in der Verhandlung mit neuen Mitarbeiter*innen unterschiedlichen Geschlechts abhängig von den individuellen Wünschen der Kandidat*innen einmal mehr Gehalt und ein anderes Mal mehr Urlaub zugestehen darf, denn Urlaub als solcher ist kein Entgelt im engeren Sinne und daher eigentlich nicht zu berücksichtigen. Unklar ist auch, ob der Arbeitgeber einzelnen Arbeitnehmer*innen, die im „war for talents“ unbedingt gehalten werden sollen, Gehaltserhöhungen anbieten oder Gehaltsforderungen nachkommen kann, ohne zugleich die Gehälter aller vergleichbaren Arbeitnehmer*innen erhöhen zu müssen. Hiergegen könnte sprechen, dass das BAG – entgegen dem LAG Sachsen in der Vorinstanz – das Interesse des Arbeitgebers an der Mitarbeitergewinnung nicht als Rechtfertigung für die geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung hat ausreichen lassen.

Es bleibt daher abzuwarten, ob das BAG die Begründung der Entscheidung nutzt, um hier einige allgemeine Fragen zu klären, oder ob es sich damit begnügt die Begründung der Arbeitgeberin im Einzelfall als unzureichend zurückzuweisen. In jedem Fall stellen sich im Kontext der Lohngleichheit viele weitere spannende Rechtsfragen, welche – insbesondere nach der vorliegenden BAG-Entscheidung – die Praxis und die Rechtsprechung in den nächsten Jahren noch vielfach beschäftigen werden.

Praxishinweise:

  • Bereits jetzt sollten Arbeitgeber unabhängig von der vorliegenden Entscheidung ihr Gehaltgefüge auf mögliche (grundlose) Ungleichbehandlungen zwischen den Geschlechtern überprüfen und ggf. anpassen. Der Equal-Pay-Grundsatz ist längst geltendes Recht und setzt der Privatautonomie Grenzen.
  • Liegen dagegen objektive und geschlechtsneutrale Gründe für eine Ungleichbehandlung einzelner Arbeitnehmer*innen vor, sollten diese gründlich dokumentiert sein. Verhandlungsgeschick allein ist jedoch kein geeignetes objektives Kriterium zur Rechtfertigung einer Entgeltungleichheit.
  • Ob und inwieweit in Zukunft im Bewerbungsprozess auch über Gehälter verhandelt werden kann, ohne Gefahr zu laufen das gesamte Gehaltsgefüge heben zu müssen, dürfte nach der BAG-Entscheidung fraglich sein, da das Interesse des Arbeitgebers an der Mitarbeitergewinnung nicht als Rechtfertigung für die geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung vergleichbarer Mitarbeiter*innen ausreicht. Insoweit sind aber noch die Urteilsgründe abzuwarten. Eine Rechtfertigung auf Basis objektiver Kriterien, wie beispielsweise der Berufserfahrung, der Qualifikation oder objektiv messbarer Leistung ist jedoch weiterhin möglich.

Entscheidungen:

  • BAG, Urteil vom 16. Februar 2023 – 8 AZR 450/21
  • Vorinstanz: LAG Sachsen, Urteil vom 3. September 2021 – 1 Sa 358/19