Du betrachtest gerade Gesteigerte Gefahr von „AGG-Hopping“ durch neues BAG-Urteil

Gesteigerte Gefahr von „AGG-Hopping“ durch neues BAG-Urteil

AGG-Hopping kann ein erhebliches finanzielles Risiko bei der Bewerberauswahl darstellen. Eine neue Entscheidung des BAG erleichtert AGG-Hoppern ihr Vorgehen und birgt finanzielle Risiken für Arbeitgeber bei der Stellenbesetzung. Insbesondere bei Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen, die für eine ausgeschriebene Stelle aus anderen Gründen ungeeignet sind, müssen Arbeitgeber genau aufpassen.

AGG-Hopping beschreibt ein Vorgehen von Bewerbern, die sich auf zahlreiche Stellen bewerben, an denen sie der Sache nach kein Interesse haben, um den Status eines Bewerbers im Sinne des Antidiskriminierungsgesetzes (AGG) zu erhalten und bei Nichteinstellung auf eine Entschädigung wegen Diskriminierung zu klagen.

Anspruch auf Entschädigung hat nach § 15 Abs. 2 AGG, wer im Sinne des AGG benachteiligt wurde. Das AGG, das die Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien darstellt, ist unter anderem im laufenden Arbeitsverhältnis und im Bewerbungsprozess anwendbar. Nach § 7 Abs. 1 AGG ist Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes (Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alters und sexuelle Identität) unzulässig. Wer bei der Bewerbung aus einem dieser Gründe nicht berücksichtigt wurde, hat daher grundsätzlich Anspruch auf eine Entschädigung.

Im Fall, den das BAG zu entscheiden hatte, war eine Stelle als „Scrum Master Energy (m/w/d)“ ausgeschrieben. Im Anforderungsprofil wurde ein Studienabschluss in einem der Studiengänge (Wirtschafts-)Informatik, (Wirtschafts-)Mathematik oder einer vergleichbaren Fachrichtung gefordert. Der Kläger, der ein Studium der Wirtschaftswissenschaften absolviert hatte, bewarb sich auf die Stelle und informierte in seiner Bewerbung über seine Schwerbehinderung. Der Kläger erhielt eine Absage woraufhin er einen Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend machte.

Verfahrensvorschriften bei Bewerbung von (schwer)behinderten Menschen

§ 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sieht vor, dass der Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung über Bewerbungen eines schwerbehinderten Menschen unterrichtet werden müssen. Dies war im vorliegenden Fall unterblieben. Das begründet nach Ansicht des BAG die Vermutung einer unmittelbaren Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung, sodass der Arbeitgeber zu beweisen hatte, dass die Nichteinstellung allein aus anderen Gründen als der Schwerbehinderung erfolgte (§ 22 AGG). Nach der Rechtsprechung des BAG begründet der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung, weil hierdurch der Anschein erweckt wird, der Arbeitgeber sei an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert. Da eine Benachteiligung schon vorliegt, wenn die (Schwer)Behinderung ein untergeordnetes Begleitmotiv für die Nichteinstellung ist, muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass die Nichteinstellung allein aus anderen Gründen erfolgte, um die Vermutung zu widerlegen.

Anforderungsprofil in Stellenausschreibung ohne Bedeutung

Der Arbeitgeber hatte die Nichteinstellung im vorliegenden Fall damit begründet, dass der Kläger dem Anforderungsprofil der Stelle nicht entsprach. Dies reichte dem BAG nicht aus. Eine Widerlegung der Vermutung komme zwar in Betracht, wenn der Bewerber die formalen Qualifikationen einer Stelle nicht erfülle. Die in der Stellenausschreibung der Beklagten geforderten Qualifikationen sind allerdings keine formalen Anforderungen, die unverzichtbare Voraussetzungen für die Ausübung der Tätigkeit eines „Srum Master Energy“ sind. Für die Tätigkeit eines „Srum Master Energy“ gibt es schlechterdings derartige Anforderungen nicht. Formale Qualifikationen in diesem Sinne seien bspw. die berufsrechtlichen Anforderungen an Rechtanwälte oder Ärzte.

Rechtsmissbräuchliches AGG-Hopping nicht nachweisbar

Auch den Einwand des Arbeitgebers der Kläger habe rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) gehandelt, weil es ihm nicht um eine Einstellung bei dem Arbeitgeber, sondern um eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gegangen sei (AGG-Hopping), hielt das BAG nicht für hinreichend bewiesen. Allein die Tatsache, dass der Kläger in mehreren parallel geführten Verfahren Entschädigungsansprüche wegen angeblich diskriminierender Stellenabsagen verfolgte und dabei nahezu identische Bewerbungsschreiben und professionelle und nahezu wortlautidentische Geltendmachungsschreiben verwendete, genügten dem BAG insoweit nicht, um ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen zu belegen.

Entschädigung von 1,5 Monatsgehältern

Der Kläger hatte mit seiner Klage eine Entschädigung von zwei Monatsgehältern (EUR 10.000) gefordert. Das BAG hielt im vorliegenden Fall eine Entschädigung von 1,5 Monatsgehältern für angemessen. Dem Kläger wurde eine Entschädigung i.H.v. EUR 7.500 zugesprochen.

Praxishinweise:

  • Arbeitgeber, die eine Bewerbung von einer schwerbehinderten Person erhalten, sollten die Verfahrensvorgaben streng beachten und dokumentieren, um nicht Gefahr zu laufen, im Falle der Nichteinstellung eine Entschädigung zahlen zu müssen.
  • Insgesamt sind die Anforderungen an die Darlegung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens bei Verdacht des AGG-Hoppings hoch. Arbeitgeber sollten Ihre Entscheidung gegen einen Bewerber gut und diskriminierungsfrei begründen können und sich nicht bloß auf den Einwand des AGG-Hoppings verlassen.

Entscheidung:

  • BAG, Urteil vom 14. Juni 2023 – 8 AZR 136/22