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Keine Sozialauswahl bei einem Betriebsteilübergang

Insbesondere im Rahmen der Restrukturierung und Sanierung spielt die Abspaltung und Veräußerung von Betriebsteilen eine große Rolle. Eine für alle Parteien entscheidende Frage ist hierbei, welche Arbeitnehmer*innen dem veräußerten Betriebsteil angehören und deren Arbeitsverhältnis damit gemäß § 613 Abs. 1 BGB auf den Erwerber des Betriebsteils übergehen.

Im Rahmen eines Betriebsübergangs nach § 613 Abs. 1 BGB gehen alle Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer*innen des Betriebs automatisch auf den Betriebserwerber über. Dasselbe gilt grundsätzlich auch im Fall des Betriebsteilübergangs. Da jedoch nur ein Teil eines Betriebes auf den Erwerber übergeht, gehen auch nur die Arbeitnehmer*innen auf den Betriebsteilerwerber über, die dem übergehenden Betriebsteil zugeordnet sind.

Für die Zuordnung der Arbeitnehmer*innen zu einem Betriebsteil kommt es darauf an, ob sie in dessen Struktur eingebunden, also dort tatsächlich eingegliedert sind. Wird der Arbeitnehmer regelmäßig für mehrere Betriebsteile tätig, kommt es auf den Schwerpunkt der Tätigkeit an. Die bloß gelegentliche Verrichtung von Tätigkeiten für den übertragenden Betriebsteil reicht ohne die Einbindung in die Struktur nicht aus (BAG, Urteil vom 24. Januar 2013 – 8 AZR 706/11). Die Zuordnung erfolgt in erster Linie anhand des ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck gekommenen Willen der Arbeitsvertragsparteien. Liegt eine Vereinbarung hierzu nicht vor, kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Rahmen seines Direktionsrecht Betriebsteilen zuordnen (BAG, Urteil vom 21. Februar 2013 – 8 AZR 877/11).

Eine Sozialauswahl ist auch bei der übrigen Betriebsstillegung nicht durchzuführen

Das BAG hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass dies auch gilt, wenn die betriebliche Struktur aufgrund einer Betriebsstillegung nicht mehr besteht. Die Klägerin hatte vertreten, in diesem Falle müsse eine Sozialauswahl durchgeführt werden, weil alle Arbeitnehmer*innen, die nicht dem übergehenden Betriebsteil zugeordnet werden, eine Kündigung erwarten. Abwegig ist dies aus Sicht der Belegschaft zunächst nicht und der 8. Senat des BAG hatte dies in der Vergangenheit auch vertreten (BAG, Urteil vom 21. Mai 2015 – 8 AZR 409/13, Rn. 57 ff.), in jüngerer Zeit aber Zweifel daran geäußert, ob diese Ansicht aufrechterhalten werden könne (BAG, Urteil vom 27. Februar 2020 – 8 AZR 215/19, Rn. 157).

Der 6. Senat des BAG folgt daher der Auffassung der Klägerin nun auch zurecht nicht. Im vorliegenden Fall hatte es zwar bereits am Betriebs(teil)übergang gefehlt. Aber auch für den Fall eines Betriebsteilübergangs seien – so das BAG (klarstellend) – die sozialen Gesichtspunkte nicht zu berücksichtigen, auch wenn die übrigen Arbeitsverhältnisse beendet werden sollen. Hintergrund ist, dass sowohl die Richtlinie 2001/23/EG als auch § 613a Abs. 1 BGB nur die Kontinuität der einer wirtschaftlichen Einheit bereits zugeordneten Arbeitsverhältnisse und anders als § 1 Abs. 3 KSchG kein Sozialschutz gewährleisten sollen.

Praxishinweise:

  • Insbesondere für Insolvenzverwalter ist die Bedeutung der vorliegenden Entscheidung groß. Soll im Rahmen der Liquidation und vor der Betriebsstillegung ein Betriebsteil oder mehrere Betriebsteile zur Kapitalaufbringung veräußert werden, ist für die Zuordnung der Arbeitnehmer*innen zu den jeweiligen Betriebsteilen die Eingliederung und vertragliche Zuordnung entscheidend. Liegt danach keine klare Zuordnung vor, kann der Arbeitgeber die Arbeitnehmer im Rahmen seines Direktionsrecht durch Versetzung vor dem Betriebsteilübergang einzelnen Betriebsteilen zuordnen. Auf Kriterien der Sozialauswahl kommt es nicht an.
  • Die Ansicht des BAG überzeugt auch rechtspolitisch, da Anreize dafür gesetzt werden sollten Betriebsteile aus der Insolvenz zu erwerben, um Arbeitsplätze zu erhalten und Kapital für die Insolvenzgläubiger aufzubringen. Eine Sozialauswahl kann (im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG) die Altersstruktur eines Betriebsteils für potentielle Betriebserwerber nachteilig beeinflussen und hätte daher erschwerte Veräußerungsbedingungen bedeutet.

Entscheidungen:

  • BAG, Urteil vom 11. Mai 2023 – 6 AZR 267/22
  • BAG, Urteil vom 27. Februar 2020 – 8 AZR 215/19
  • BAG, Urteil vom 21. Mai 2015 – 8 AZR 409/13
  • BAG, Urteil vom 21. Februar 2013 – 8 AZR 877/11
  • BAG, Urteil vom 24. Januar 2013 – 8 AZR 706/11