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Update: Berücksichtigung der Rentennähe bei der Sozialauswahl – BAG veröffentlicht Entscheidungsgründe

Bereits im „Jahresrückblick 2022 – Teil 5: Kriterien für die Sozialauswahl“ hatten wir über die Entscheidung des BAG vom 8. Dezember 2022 (Az.: 6 AZR 31/22) berichtet, wonach bei der Sozialauswahl bei Rentennähe das Kriterium „Lebensalter“ auch zulasten der Arbeitnehmer berücksichtigt werden kann. Nun hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungsgründe veröffentlicht.

Im Falle der betriebsbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber gemäß § 1 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) zwischen allen für die Kündigung in Betracht kommenden Arbeitnehmer*innen eine Sozialauswahl durchführen, wobei (ausschließlich) die Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung berücksichtigt werden müssen.

Die in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten Sozialauswahlkriterien sind grundsätzlich zugunsten der Arbeitnehmer*innen zu berücksichtigen. Mit Urteil vom 8. Dezember 2022 (Az.: 6 AZR 31/22) hat das BAG nun festgestellt, dass das Lebensalter durchaus auch zulasten der Arbeitnehmer*innen in die Sozialauswahl einfließen kann, sofern eine besondere Rentennähe vorliege.

Rentennähe liegt zwei Jahre vor Bezug einer vollen Altersrente vor

Die Rentennähe in diesem Sinne liegt erst vor, wenn der betroffene Mitarbeiter spätestens zwei Jahre nach dem Beendigungszeitpunkt eine ungekürzte Altersrente beziehen kann. In Betracht kommt dabei die Regelaltersrente (§§ 35, 235 SGB VI), die Altersrente für langjährig Versicherte (§§ 36, 236 SGB VI) sowie die Altersrente für besonders langjährig Versicherte (§§ 38, 236b SGB VI). Nicht berücksichtigt werden darf hingegen eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen (§§ 37, 236a SGB VI).

Die Grenze von zwei Jahren folgt aus dem Umstand, dass für dies die längstmöglichen Bezugsdauer von Arbeitslosengeld gemäß § 147 Abs. 2 SGB III ist.

Gilt für betriebsbedingte Kündigung und Sozialplan

Im Fall vor dem BAG ging es um eine Sozialauswahl der Betriebsparteien im Rahmen eines Interessenausgleichs und Sozialplans. Das BAG stellt allerdings klar, dass dieselben Grundsätze auch für die (einfache) Sozialauswahl durch den Arbeitgeber gelten.

Kein Einfluss auf sonstige Sozialauswahlkriterien

Die Rentennähe kann allerdings nur im Rahmen des Kriteriums „Lebensalter“ berücksichtigt werden. Das Kriterium „Betriebszugehörigkeit“, das mittelbar ebenfalls an das Lebensalter anknüpft, muss hiervon unberührt bleiben.

Unterschiedliche Formen der Berücksichtigung sind möglich

Inwiefern das Rentenalter berücksichtigt werden soll, obliegt grundsätzlich den Betriebsparteien bzw. dem Arbeitgeber im Rahmen der Sozialauswahl. Das BAG nennt allerdings einige mögliche Berücksichtigungen, die es für zulässig hält:

  • Kappung der Sozialplanpunkte für das Lebensalter ab dem Erreichen der Rentennähe im oben genannten Sinne,
  • Punktabzug im Bereich des Lebensalters bei Erreichen der Rentennähe im oben genannten Sinne oder
  • Punkte für das Lebensalter auf Null setzen bei Erreichen der Rentennähe im oben genannten Sinne.

Insbesondere der letzte Fall ist eine drastische Form der Berücksichtigung, da sie bei älteren Beschäftigten, die häufig keine Unterhaltpflichten (mehr) für Kinder haben, gerade dann besonders hart ist, wenn diese keine lange Betriebszugehörigkeit haben.

Entscheidung:

  • BAG, Urteil vom 8. Dezember 2022 – 6 AZR 31/22